Eine weitere Illusion gehört dem Thema Fahrer. Man verbindet mit einem Chauffeur Luxus und ein entspanntes Leben. Einen Fahrer zu haben, war in China manchmal durchaus ein Luxus und das mit dem entspannten Leben …

Wir wussten es in China wirklich sehr zu schätzen einen Fahrer zu haben, denn verbringt man Stunden auf den Stadtstraßen des Großstadtdschungels, dann weiß man es zu genießen entspannt im Fond des Wagens zu sitzen, um dort zu lesen, zu telefonieren oder die Umgebung zu bestaunen. Manchmal nutzte ich die Zeit, um entspannt den Wirren und dem Durcheinander an Gefährten und Menschen auf den Straßen zuzuschauen …

 

Verkehrsalltag in Peking

… und um immer wieder ins Staunen zu kommen, dass man durchaus jederzeit rechts überholen, für ein Pläuschchen auf dem Seitenstreifen anhalten, oder einfach den Seitenstreifen dafür nutzen kann, um genau dort wieder in die Gegenrichtung zu fahren und dass all dies nicht nur in der Stadt, sondern auch auf den Autobahnen möglich ist. Leider habe ich keine Fotos von den entsprechenden Situationen auf den Autobahnen, da ich vor Ungläubigkeit jedes Mal alles vergaß – vor allem das Fotografieren.

 

Unterwegs mit Fahrer

Li unserer Fahrer

Unser erster Fahrer hieß Li, wie ca. weitere 100 Millionen andere Chinesen. Er war jung, engagiert und hörte, zur Freude unserer Kinder, gerne laut die aktuellen Beats. Nachdem wir bei unserer Ayi = Haushälterin (Gute Geister Teil I) erst auf den zweiten Anlauf die Richtige fanden, waren wir umso zufriedener mit Li sofort einen absoluten Glücksgriff gemacht zu haben. Er war gut gelaunt, zuverlässig, die Kinder mochten ihn und er fand den Weg. Ein nicht unerheblicher Vorteil und alles andere als eine Selbstverständlichkeit in Peking.

Li brachte mich zuverlässig an alle gewünschten Plätze, wie z.B. diverse Schnäppchenmärkte. Schließlich wollte ich meinen Pflichten als Tai tai (wie Wikipedia es nett benennt: „wealthy married woman who does not work“) zumindest von Zeit zu Zeit nachkommen und shoppen gehen. Er vergnügte sich dort meist die Zeit mit anderen Fahrern von Tai tais, die ganz zufälligerweise dasselbe Ziel hatten. Das größte Vergnügen für ihn war jedoch immer, am Ende jeder Shoppingtour in meine Einkaufstüten zu schauen, um zu sehen was ich erstanden habe und genau abzufragen, wie viel ich für was bezahlt habe. Meine Privatsphäre löste sich mit jedem Blick in die Tüten immer mehr auf.

Leider wandelte Li sich zunehmend von einem motivierten und gut gelaunten, zu einem müden und desinteressierten Fahrer. Immer häufiger schien er die Nächte entweder in diversen Tanzclubs oder bei einem Nebenjob zu verbringen. Tatsache war, dass ich irgendwann alles andere als entspannt im Fond des Wagens saß und las, sondern nur noch verkrampft nach vorne starrte, da ich bei der Frequenz seines Gähnens die Befürchtung hatte, er könnte einschlafen. Und tatsächlich! Während wir mit 80 km/h über die Stadtautobahn fuhren, klappten seine Augen einfach zu. Nach einem gebrüllten: „Liiii! Bù shuìjiào!!!“  Was so viel wie „Li! Nicht schlafen!“ heißt – mehr gab mein damaliger Wortschatz noch nicht her – für diesen Moment reichte es absolut, denn er riss er die Augen wieder auf und blieb zumindest für diese Fahrt wach. Es sollte jedoch kein einmaliger Vorfall bleiben.

Nach dem Schlafvorfall, häuften sich weitere Vorkommnissen und bald war klar, uns blieb nichts Anderes übrig, als uns von ihm zu trennen. Mal wieder bangten wir um unser Leben. Dieses Mal stand uns nicht der Hungertod bevor (Gute Geister Teil I), sondern planten wir nicht unser Leben auf Pekings Straßen zu beenden, so mussten wir rasch handeln. Wir wollten nur noch den bevorstehenden Urlaub abwarten. Nach unserer Rückkehr würde ich mich endgültig darum kümmern, auch wenn mir davor graute. Zumal wir Li wirklich sehr gerne mochten und wenn ich daran dachte, wie schwer mir die Kündigung bei unserer ersten Ayi gefallen war, obwohl sie nur wenige Wochen bei uns war und Li war bereits schon einige Monate an unsere Seite.

Aber Li sollte mir das Ganze erleichtern. Unsere Urlaubswochen verbrachte er vergnügt – und natürlich verbotenerweise – damit, seine Verwandten die zu Besuch waren, mit unserem Auto mehre tausend Kilometer spazieren zu fahren. Nachdem der Kilometerstand und Freunde – die ihn mehrfach gesehen hatten – uns die Geschehnisse mitteilten, half meine Wut nicht unwesentlich dabei.

Unser Herzstück Pang Yang 

Unser zweiter Fahrer Pang Yang blieb uns fast den Rest unserer Zeit treu. Er war phänomenal, im positiven Sinne und definitiv eine Ausnahme. Er war die Ruhe selbst. Stieg man zu ihm in den Wagen, so konnte man seine Ruhe und Entspanntheit förmlich spüren, was definitiv ein Vorteil ist, wenn sich der Wagen durch Pekings Straßenchaos bahnt. Allerdings schlummerte in ihm auch ein gewisses Temperament. War das Limit erreicht – was nur wenige Male vorkam – so konnte es durchaus sein, dass er aus dem Wagen sprang und lautstark jemanden zur Schnecke machte.

Pang Yang sprach etwas Englisch. Wir kommunizierten in einem Chinglish-Misch-Masch. Ich sprach so viel Chinesisch und Pang Yang so viel Englisch, wie möglich. So trainierten wir gegenseitig unsere Sprachkenntnisse. Er war extrem wissbegierig. Verstand er ein Wort oder einen Satz nicht, so nutze er die nächste Fahrpause, um im Wörterbuch nachzuschlagen. Stieg ich wieder ein, präsentierte er mir umgehend sein neues Wissen. Von unserer kleinen Tochter bekam er auf den Fahrten zum Kindergarten zudem noch deutschen Sprachunterricht. Sie sprach mit ihm immer in einer lustigen Mischung aus Englisch, Deutsch und Chinesisch. So war es irgendwann ganz normal, dass er uns mit einem „Guten Morgen“ begrüßte und wenn die Kleine rief: „Lauter, lauter!“, so wusste er was zu tun war und drehte die Musik auf. Vor der Fahrt zum Kindergarten brüllte sie abwechselnd: „Pang Yang, wǒmen qù kindergarden!“ oder „Pang Yang, to kindergarden!“ und nach dem Kindergarten instruierte sie ihn: „Pang Yang, huí jiā!“ (Pang Yang, zurück nachhause fahren). Er wiederum verabschiedete sich oft bei ihr mit einem: „Tschüß, bis morgen!“. Die beiden hatten immer einen Riesenspaß mit ihrem verbalen Ping-Pong aus Chinesisch, Englisch und Deutsch.

Auch unsere Besucher aus der Heimat liebten ihn, souverän und geduldig fuhr er uns von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit und beide Seiten, genossen die Pläuschen während der Autofahrten.

Unser Fahrer Pang Yang

Und nochmals Li

Die letzten Monate, mussten wir uns leider nochmals an einen neuen Fahrer gewöhnen. Da wir nur noch wenige Monate in China blieben, nahm Pang Yang ein gutes Angebot wahr. Das machte uns sehr traurig, aber wir konnten es absolut nachvollziehen. So mussten wir uns aufs Neue nach einem neuen Fahrer umschauen und verbrachten unser letztes halbes Jahr in China wieder mit Li. Nicht unserem ersten Li, sondern einem der restlichen Hundert Millionen. Der neue Li war ein verkappter Kreativer oder zumindest brachte er alle Attribute mit, die man mit einem verrückten Künstler verbindet.

Schickte ich ihn etwas besorgen, kam er nach fünf Minuten zurück und fragte nach, was er denn nochmals besorgen sollte. Holte er mich ab, so poltere es regelmäßig im Kofferraum und er rief jedes Mal: „Ó! Duibuji wàngjì!“ oder „Oh, I forgot!“ Und ich wusste, er hatte mal wieder vergessen die Wassercontainer aufzufüllen und sie kullerten leer durch den Kofferraum.

Als ich mit Freundinnen unterwegs war und als Letzte in den Van stieg, fuhr er einfach mit Vollgas los. Das Glück war mir hold und dank meiner schnellen Reaktion und vor allem meinen hysterisch kreischenden Freundinnen sei Dank, verlor ich weder mein Bein durch die zurollende Schiebetür, noch wurde ich beim nach hinten Fallen überfahren.

Ein anderes Mal, als ich mit ihm unterwegs war, wählte er eine neue Route für den Heimweg. Ich freute mich, er hatte wohl eine neue Abkürzung gefunden. Als es jedoch immer länger und länger dauerte und sich definitiv um keine Abkürzung handeln konnte, sagte ich zu ihm:  „Li, wǒmen qù nǎlǐ – Li, wo fahren wir hin?“

Geschockt drehte er sich zu mir um und starrte mich an wie einen Geist und flüsterte etwas mit … wàngle nǐ … ( … habe dich vergessen … ) und fasst sich ans Hirn. Er hatte komplett vergessen, dass ich auf dem Rücksitz saß und war schon auf dem Heimweg zu sich nachhause. Aber man muss ihm zugutehalten, er versuchte wirklich immer sein Bestes und an seinem guten Willen lag es definitiv nicht.

Allerdings sollte er uns noch in eine missliche Lage bringen. In unserem letzten Jahr, wagten wir das erste Mal die Kids für einige Tage in China allein zu lassen. Sie blieben übers Wochenende bei einer Freundin und ihrer Tochter und wir konnten für ein Wochenende zu zweit nach Hong Kong fliegen. Was für ein Luxus, ein ganzes Wochenende nur für uns, einfach mal ausspannen, sich um nichts Gedanken machen … bis das Handy klingelte. Eine Erzieherin aus dem Kindergarten war dran, sie meinten: „Die Kleine wartet noch immer, der Fahrer war noch nicht da. Holt ihr sie heute ab?“ WIE KEIN FAHRER??? Eigentlich hätte er sie wie immer abholen sollen. Mehrfach versuchten wir Li übers Handy zu erreichen, das Telefon war abgeschaltet. Wir riefen zuhause bei der Ayi an, die noch bis zum Nachmittag nach den Kindern schaute. Die Große war mit dem Schulbus nachhause gekommen aber die Kleine nicht. Sie hatte sich schon gewundert, weil Li bereits am Morgen das Auto zurückgebracht hatte. Sie dachte, dass die Kleine vielleicht von unserer Freundin abgeholt würde. Wieder versuchten wir mehrfach Li zu erreichen und beratschlagten wie wir das Problem lösen könnten. Dann endlich rief er zurück und fragte: „Aren’t you in Hong Kong?“ Ich antwortete: „Yeees Li! And do you now where the little one is?“  Eine lange, eine seehr lange Pause und dann folgte von ihm ein fast ebenso langes: “Ohhhhh!“, ergänzt von einem zerknirschten, „Wǒ wàngle!“ „I forgot!!!“. Ich konnte förmlich seine Hand die an seinen Kopf fasste sehen, eine mir mehr allzu vertraut gewordene Geste. Li hatte uns zum Flughafen gefahren, anschließen das Auto bei uns am Haus geparkt und war ins Wochenende gegangen. Dass er wie immer die Kleine abholen sollte, hatte er – obwohl ich ihn noch daran erinnerte – komplett vergessen.

Zurück in Deutschland ging es mir ähnlich wie mit dem Thema Ayi. Während unserer Zeit in China war ich mehr als froh und dankbar eine Ayi und einen Fahrer zu haben, das bescherte mir dort in vielen Belangen Erleichterung und mehr Zeit. Angestellte benötigen allerdings auch eine gewisse Organisation und Vorausplanung und man ist fast ständig unter Beobachtung. So war es auch für mich zurück in Deutschland eine neu gefundene Freiheit, jederzeit ins Auto steigen zu können, ohne dies vorab zu organisieren. So können Selbstverständlichkeiten zu einem Luxus der anderen Art werden. Außerdem kommentiert nun keiner mehr den Inhalt meiner Shoppingtüten, außer meinem Mann, wenn er mit ratlosem Blick in meine aktuelle Shoppingtüte schaut und fragt: „Schatz, wozu brauchst du weitere fünf Paar Schuhe?

Und so geht es weiter …

Wenn der Führerschein schlagartig seine Gültigkeit verliert, man wieder zum Schüler und Prüfling wird, und all dies nach chinesischen Regeln …

DU MÖCHTEST AUF KEINEN FALL VERPASSEN WIE ES WEITERGEHT?

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3 thoughts on “LIVING IN CHINA — Gute Geister Teil II – Der Fahrer

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