War es doch ein Fehler gewesen mit so kleinen Kindern ins Ausland zu gehen? Die Kleine muss mit ungeklärter Ursache im Krankenhaus bleiben. Ist dies nun das Ende unseres Auslandabenteuers …

Unsere Kleine – zweieinhalb Jahre alt – hatte sich irgendetwas eingefangen, etwas Falsches gegessen, ein Magen-Darm-Infekt, oder was auch immer. Ständig musste sie brechen. Uns blieb nichts anderes übrig, als ins Krankenhaus zu fahren. Braucht man in China einen Arzt, so geht man ins Krankenhaus. In Peking gibt es – außer einer Vielfalt an chinesischen Krankenhäusern – zwei internationale Kliniken. Bei unserem umfangreichen Look and See-Trip hatten wir diese Klinken bereits vorgestellt bekommen. Beide Krankenhäuser haben einen sehr guten Ruf. So entschieden wir uns einfach für das, was in unserer Nähe lag. Problem, es war Wochenende und der Fahrer hatte an den Wochenenden meist frei. Was bedeutete, mit der gesamten Familie ab ins Taxi und hin zur nächsten Klinik. Nach der Taxifahrt zum Kindergarten ( Taxifahren in Peking )  mochte ich mir gar nicht vorstellen wie lange es dieses Mal dauern und wo wir letztendlich landen würden, zumal es bei dieser Fahrt keine Erzieherin gab, die im Notfall den Fahrer instruierte. Doch – gottlob – lief die Fahrt reibungslos ab. Der Taxifahrer warf einen Blick aufs Visitenkärtchen, nickte kurz und nach zwanzig Minuten waren wir bereits ohne große Hindernisse beim Krankenhaus.

Mit so kleinen Kindern ins Ausland ein Fehler!?

Die Aufnahme ging recht schnell. Wir mussten uns an der Information anmelden, einige Formulare ausfüllen und schon wurden wir zur Notaufnahme geschickt. Bei dem Arzt handelte es sich um einen älteren Australier – der väterliche Typ – bei dem wir uns alle, und vor allem die Kleine, sofort wohl fühlten. Er begrüßte uns mit einem flapsigen „Hi guys what’s the problem?“, machte ein paar Späße mit der Kleinen, die zwar kein Englisch sprach, aber die Botschaft in den Worten verstand, und – zumindest kurzfristig – von ihrem Elend abgelenkt war. Immer noch musste sie sich ständig übergeben. Er nahm einige Untersuchungen vor und schließlich verkündete er uns „The little one has to stay in hospital!“

Jetzt wurde auch mir flau. Unsere ersten Wochen im Ausland und schon landete eines der Kinder mit ungeklärter Magenverstimmung im Krankenhaus. Was, wenn es etwas Schlimmeres war? Mussten wir nun alle wieder zurück nach Deutschland? Oder ich alleine mit den Kindern, weil mein Mann nicht einfach so weg kann?  War dies das Ende unseres Auslandabenteuers? Handelte es sich etwa um irgendeinen exotischen Virus?  Wie konnten wir nur mit so kleinen Kindern so weit weg und ins Ausland gehen! Meine Synapsen lieferten sich in Schallgeschwindigkeit einen Schlagabtausch an Selbstvorwürfen und worst-case-Szenarien.

Zurück ins Chaos

Meine Gedankenkrise wurde von meinem Mann unterbrochen. „Also, ich geh dann mal mit der Großen zurück, wir kommen euch morgen besuchen.“  Kaum hatte er sich einen Schritt entfernt, blieb er wie erstarrt stehen, drehte sich langsam zu mir um und sagte: „Wir haben was vergessen!“ Ratlos schaute ich ihn an, ich hatte absolut keinen Schimmer was er meinte. Wir hatten sogar – obwohl wir hofften es nichts zu brauchen – eine kleine Tasche mit dem Nötigsten für mich und die Kleine gepackt. Er sagte nur: „Umzug!“  DER UMZUG!!! Am nächsten Tag wollten wir mit Sack und Pack vom Serviceappartement ins Haus ziehen bzw. weniger wollten, als mussten. Das Appartement war nur bis heute gemietet. In der ganzen Aufregung hatte ich unseren Umzug komplett vergessen. Morgen würden die letzten Möbel angeliefert, der Flugcontainer kam mit unserem Hab und Gut aus Deutschland und im Serviceappartement musste alles zusammengepackt und zum Haus rübergebracht werden. Mein Mann war morgen bei der Arbeit, somit war – eigentlich – die gesamte Organisation und Abwicklung mein Part! Wir verharrten einige Minuten in Schreckstarre und dann wurde umgehend mein Mutter-und-Hausfrau-Notfall-System aktiviert. Ich instruierte meinen Mann mit allen wichtigen Infos zum Umzug, zum Tagesablauf der Großen und sonstigen to-dos. Er nickte nur noch, wurde zunehmend blasser … und fuhr dann direkt mit dem nächsten Taxi zurück ins Appartement und mitten ins wartende Chaos.

Contenance

Der Kleinen ging es am nächsten Tag wesentlich besser. Es war zwar immer noch nicht klar was sie genau hatte, aber alles deutete darauf hin, dass es nichts Schlimmeres war. Die Ärzte verkündeten, dass sie aber mindestens noch eine Nacht bleiben müsse. Abends rief mein Mann an und erkundigte sich wie es der Kleinen geht. Sichtlich erleichtert hörte er meinem Bericht zu, froh dass es nichts Ernsthaftes war und meinte dann nur noch: „Wir sind umgezogen …“ ein kurzes Schnauben von ihm oder etwas in der Art, so ganz klar war sein Atemgeräusch nicht zu deuten „ …weitere Details morgen.“  Seine sparsame Äußerung, ließen umso mehr erahnen! Ich war nicht wirklich gewillt noch mehr Hiobsbotschaften zu hören, da mir der Schreck mit der Kleinen noch ordentlich in den Knochen saß, deshalb sagte ich schnell: „Kein Problem, erzähl einfach morgen in Ruhe.“ In der Nacht als ich mit offenen Augen im Krankenhaus lag, bereute ich dann doch, dass ich nicht näher nachgefragt hatte. Die Lücke an Informationen wurde von meiner Fantasie äußerst reichhaltig mit Horrorszenarien gefüttert.

Am nächsten Tag kam mein Mann, die Große an der Hand, sichtlich erschöpft ins Krankenhaus und berichtet von seinem Tag. Die Möbel waren angeliefert worden, allerdings fehlten bei unserem Bett der Rahmen sowie der Bettrost, aber die Matratze war immerhin da. Im Appartement hatte er versucht unsere Kleider und sonstige Mitbringsel aus Deutschland in die Koffer zurück zu verstauen. Was ungefähr so gut funktioniert hatte, wie ein magisches Handtuch, nachdem es mit Wasser zu seiner vollen Pracht aufgequollen ist, zurück in die Verpackung zu stecken. Mit fassungslosem Gesicht sagte er: „Ich habe wirklich keinen blassen Schimmer, wie du all das Zeug in die Koffer verstaut hast!!!“ Ich gestehe, ich hatte mit ausgefeilter Falt-Schieb-Stopf-Technik jeden allermikrokleinsten Winkel der Koffer ausgefüllt. Er erzählte mir wie er Barbieschuhe aus der hintersten Ecke hervor geangelte hatte, genötigt von der hysterischen Großen – als würde dort nicht ein Schuh, sondern ihr Leben zurückbleiben. Er war sprachlos wie viele Schränke, Fächer und Schubladen unser Appartement tatsächlich hatte und wie es möglich war, innerhalb von vier Wochen, sich bis in den letzten Winkel auszubreiten. Alles was nicht in die Koffer passte, hatte er auf jegliche verfügbaren Tüten und Behältnisse verteilt und den Rest dann einfach auf dem Arm zum Auto getragen. Ich musste mir unter größter Anstrengung verkneifen loszulachen. Die Vorstellung, wie mein Mann mit einem Berg Socken, Hosen, T-Shirts und Kuscheltiere vor sich aufgestapelt Treppauf und Treppab lief und damit das Auto vollpackte, strapazierte meine Selbstbeherrschung wirklich sehr. Das Gesicht meines Mannes war allerdings eine wunderbare Unterstützung und Motivation, lieber doch meine Contenance zu bewahren. So ließ ich ihn einfach weiter erzählen…

 

Endlich nachhause – zumindest theoretisch

Der Container war planmäßig angekommen, und die Kisten standen nun übers ganze Haus verteilt.  Er erzählte wie er versucht hatte gleichzeitig meine hieroglyphenartigen Beschriftungen zu entziffern und den chinesischen Umzugsleuten klar zu machen, wo die Kisten hinkommen. Sie hätten freundlich genickt und gewissenhaft seine Instruktion entweder nicht verstanden oder ignoriert. Die Vorstellung wiederum, wie ich den Inhalt der chaotisch übers Haus verteilten Kisten, an dessen Bestimmungsort schleppte und räumte, eliminierte schlagartig jegliches Lachbedürfnis meinerseits.

Stolz berichtete mein Mann, dass er im Kistenchaos sogar mein „Erste-Nacht-im-Haus-Überlebens-Paket“ gefunden hatte. Es beinhaltet: 4 mal Bettwäsche, 4 Plastik-Kinderteller, 4 Plastik-Kinderbecher, 4 mal Besteck, 4 Handtücher. Damit wir nicht mit Triefgesichtern ins Bett gehen, auf der blanken Matratze schlafen und mit den Fingern das Essen von der Hand essen mussten. Je mehr sein Bericht dem Ende nahe kam, umso stolzer war er, dass er lebend aus dem Chaos hervorgegangen war und der Inhalt des Containers, nicht vor dem Haus und der Rest unsere Habe, nicht im Appartement verblieben war. Aufgeregt erzählte er, immer wieder von der Großen unterbrochen, von ihrer ersten Nacht im neuen Haus. Von dem Abendessen auf Plastik-Tellern und wie sie auf der Matratze am Boden genächtigt hatten. Die Große meinte: „Das war fast wie Campen Mama!“

Nun wurde ich doch etwas traurig, dass wir die erste Nacht in unserem neuen Heim nicht gemeinsam verbringen konnten. Doch das Wichtigste war, dass es der Kleinen besserging und wir nun „endlich“ das Krankenhaus verlassen und in unser neues Zuhause fahren durften. – Zumindest theoretisch.

Und so geht es weiter …

Welche Hürden wir noch zu überwinden hatten, bis wir tatsächlich das Krankenhaus verlassen konnten und endlich in unserem neuen Heim ankamen

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